Lukas Cranach, Werkstatt, Gesetz und Gnade, um 1535

vorgestellt von Andreas Mertin

Lukas Cranach d.Ä.Die von Martin Luther (1483-1546) wiederentdeckte Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders allein durch den Glauben wurde von Lukas Cranach d. Ä. (1472-1553) und seiner Werkstatt mehrfach in aussagekräftigen Lehrbildern dargestellt. Am deutlichsten geschieht dies auf der Mitteltafel des Altarwerks der Stadtkirche zu Weimar, auf der Cranach den Blutstrahl der Gnade aus der Seitenwunde Christi direkt auf dem eigenen Kopf landen läßt (s. nebenstehendes Bilddetail und das unten abgebildete Gesamtbild). Klar und nachvollziehbar vermittelt Cranach seine Erkenntnis, dass keine andere heilsvermittelnde Institution zwischen den Gläubigen und Christus tritt.


Lukas Cranach, Mitteltafel des Altarwerks der Stadtkirche zu WeimarCranach ist der protestantische Bildkünstler oder, wie das Lexikon vermeldet: der Begründer einer protestantischen Kunst. Cranach "gilt als der repräsentative Maler der Reformation. Seine Porträts von Persönlichkeiten der Reformation, darunter mehrere Bildnisse Martin Luthers (Luther als Junker Jörg, 1521) und Herzog Heinrich von Sachsen (1514, Gemäldegalerie, Dresden), sind von großer Klarheit und Exaktheit. In den Dienst des Protestantismus stellte sich Cranach auch mit seinen Illustrationen zur Bibel und Reformationsschriften, ab 1515 war er Mitarbeiter am Gebetbuch des Kaisers Maximilian. Cranach leitete eine enorm produktive Werkstatt, in der Hunderte von Gemälden entstanden, zum Teil ganze Serien von Porträts in immer neuen Variationen." [MS Encarta]

Die in Cranachs Bildern spürbare Nähe zur lutherischen Lehre ist kein Zufall: "Luther und Cranach lebten Jahrzehnte in guter Freundschaft, die auch die Familien einschloß - wechselseitig waren sie Paten auch von Kindern, Cranach war Trauzeuge bei Luthers Heirat -, in der Kleinstadt Wittenberg als Weggefährten, in der gemeinsamen Sache auch des Betreibens der Reformation verbunden. Es ist undenkbar, dass Lucas Cranach die Typologie in seiner Kunst anders als in Luthers Sinn behandelt hätte. Über mehr als zwei Jahrzehnte und bis zum Tod hat Cranach das Thema 'Gesetz und Evangelium' nach einer 1529 wohl mit Luther zusammen gefassten Bilderfindung unermüdlich abgewandelt ..." [Friedrich Ohly, Gesetz und Evangelium. Zur Typologie bei Luther und Lucas Cranach - Zum Blutstrahl der Gnade in der Kunst, Münster 1985, S. 16].


Das folgende Täfelchen zeigt in typologischer Gegenüberstellung von Ereignissen aus dem Alten und dem Neuen Testament den Weg des Menschen aus Tod, Sünde und Gesetz (links) zu Leben, Glaube und Gnade (rechts).

Gesetz und Evangelium, Öl auf Holz, von Lucas Cranach d.Ä., um 1551,
Lutherhalle Wittenberg (Dauerleihgabe des Landes SachsenAnhalt)

Das Bild ist von einer äußersten Klarheit, die Szenen sind deutlich antithetisch aufgebaut, die Logik von Gesetz und Evangelium bis in die Gesten der Figuren hinein durchkomponiert. Wo auf der linken Seite Mose dem von Tod und Teufel gejagten Menschen das Gesetz entgegenhält, verweist auf der rechten Seite Johannes auf die Gnade des Gekreuzigten, der Tod und Teufel überwunden hat.


Das gleiche Thema "Gesetz und Evangelium" behandelt - mit einigen deutlich erkennbaren Varianten in der Gestaltung - auch das um 1535, also etwa 16 Jahre vorher entstandene und im Folgenden abgebildete Werk der Cranachwerkstatt.

Lukas Cranach (Werkstatt): Gesetz und Gnade - Die Rechtfertigung des Sünders, um 1535,
Gemälde auf Buchenholz, später in zwei Teile zersägt, 71,9x59,6 cm und 72,6x60,1 cm.
Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum (Vergrößerung)

Auffallend ist zunächst vor allem die unterschiedliche Platzierung der Geschichte von der ehernen Schlange (4. Mose 21, 4-9). Sie ist Gegenstand verschiedener Kontroversen über die Bildkomposition geworden, ragt sie doch als alttestamentliches Geschehen in die als neutestamentlich verstandene rechte Seite hinein. Dennoch hat sie auf der Seite der Gnade "ihren rechten Platz, zumal sie, zwischen dem negativen Typus des Sündenfalls und dem Kruzifixus stehend, zugleich als alttestamentlicher Antitypus der Schlange der Versuchung und ... als positiver Typus des Gekreuzigten verstanden werden konnte" [Friedrich Ohly, Gesetz und Evangelium, a.a.O., S. 17f.]. Eine weitere Abweichung bezieht sich auf die Verkündigung an die Hirten auf dem Felde, die auf dem oberen Bild fehlt. Es gibt eine Fülle weiterer Abweichungen en Detail, etwa in der Haltung der Maria, der Komposition des Jesaja und Mose, der Figur des Satans usw.


Wichtig ist für beide Werke, dass sie extensiv von Worten begleitet bzw. umgeben sind. Beim Bild von 1535 steht über der linken Seite Römer 1, 18 und über der rechten Jesaja 7, 14. Unter jedem Bildteil stehen dann noch jeweils fünf Bibelverse.


Eine quasi-chronologische Beschreibung der Erzählung des Bildes enthielte
(hier dargestellt an einem Holzschnitt Cranachs)

Cranach, Gesetz und Evangelium, Holzschnitt um 1530Das Jüngste GerichtDie Rechtfertigung des SündersDie HimmelfahrtDie KreuzigungDie eherne Schlangedas Abendmahl (Blutstrahl der Gnade)Johannes der TäuferHirten auf dem FeldeMaria EmpfängnisDie ProphetenEmpfang der Gesetzestafeln durch MoseVertreibung aus dem ParadiesDer Sündenfall

  1. den Sündenfall (1. Mose 3)
  2. die Vertreibung aus dem Paradies (1. Mose 3, 22ff.)
  3. den Empfang der Gesetzestafeln durch Mose (2. Mose 20ff.)
  4. die Ehernen Schlange (4. Mose 21, 4-9)
  5. die Propheten, vor allem den Propheten Jesaja (Jes 7,14; 40,3; 42,1-4; 53,4; 61, 1-2).

    Sie wechselte dann im neutestamentlichen Teil zu
  6. Maria Empfängnis (Mt 1 par.)
  7. den Hirten auf dem Felde (Lk 2, 8f.),
  8. Johannes dem Täufer (Mk 1,1ff. u.ö.),
  9. dem Abendmahl (Mt 26, 17ff. par),
  10. der Kreuzigung (Mt 27,31ff. par),
  11. der Auferstehung (Mt 28 par)
  12. der Himmelfahrt (Apg 1) 
  13. der Rechtfertigung des Sünders (Röm 3,21; 4,25; 5,18)

    und sie endete proleptisch mit
  14. dem Jüngsten Gericht (Mt 25, 31f).

Der durch das Bild vollzogene typologische Vergleich wird nahegelegt durch Röm 5,12: "Deshalb, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben." bzw. 1.Kor 15,45: "Wie geschrieben steht: Der erste Mensch, Adam, »wurde zu einem lebendigen Wesen« (1.Mose 2,7), und der letzte Adam zum Geist, der lebendig macht."