Wie kommt es eigentlich zu dem Brauch, am Nikolaustag seine Strümpfe rauszuhängen und auf Süßigkeiten und kleine Geschenke zu hoffen? Diese Tradition geht zurück auf den Heiligen Nikolaus, der vermutlich in der 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts Bischof von Myra war, das an der Südküste Lykiens/Kleinasien liegt. Mit seinem Leben verbinden sich zahlreiche Legenden, die sich zum Teil so spannend lesen, wie ein zeitgenössischer Krimi oder auch ein Horrorstück aus der Feder von Stephen King. Da geht es um eingepökelte Schüler, vereitelte Brandstiftungen, Diebstahl oder auch Unterschlagungen. Der Brauch mit den Strümpfen geht aber auf die drohende Prostitution dreier Mädchen zurück, die Nikolaus vereitelt hat. Und das geschah, wie die Legenda aurea in ihrer eigentümlichen Sprache berichtet, so:
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Als Nicolaus Eltern tot waren, begann er danach zu trachten, wie er den großen Reichtum verzehre in Gottes Lob und nicht zu der Ehre der Menschen. Da war ein Nachbar, edel von Geburt und arm an Gut, der hatte drei Töchter, die wollte er in seiner Not in die offene Sünde der Welt stoßen, daß er von dem Preis ihrer Schande leben möchte. Als das Sanct Nicolaus hörte, entsetzte er sich über die Sünde; und ging hin und band einen Klumpen Goldes in ein Tuch und warf ihn des Nachts heimlich dem Armen durch ein Fenster in sein Haus und ging heimlich wieder fort. Da es Morgen ward, fand der Mann das Gold, dankte Gott, und richtete davon der ältesten Tochter Hochzeit aus. Nicht lange danach tat Sanct Nicolaus dasselbige zum andern Mal. Als der arme Mann wiederum das viele Gold fand, lobte er Gott von Herzen und setzte sich vor, hinfort zu machen, daß er den Diener Gottes fände, der ihm in seiner Armut so zu Hilfe käme.
Darnach kürzlich warf Nikolaus Goldes zweimal so viel in das Haus denn zuvor; da erwachte der Mann von dem Falle des Goldes und eilte dem Heiligen nach und rief 'Steh stille und laß mich dein Antlitz schauen' und holte ihn ein und erkannte, daß es Sanct Nicolaus war; und fiel vor ihm nieder und wollte ihm seine Füße küssen. Das wehrte ihm Nicolaus und gebot ihm, daß er diese Tat nicht sollte offenbar machen, so lange er lebte.
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Das hat dann offensichtlich nicht lange vorgehalten, jedenfalls verbreitete sich später der Brauch, am Tag des Heiligen Nikolaus Strümpfe "bereitzuhalten" in der Hoffnung, etwas von den Gaben des Nikolaus mitzubekommen.
Ambrogio Lorenzetti (Siena 1285-1348) hat auf vier perspektivischen Tafelbildchen Szenen aus dem Leben des heiligen Nikolaus dargestellt. Wir zeigen hier die Szene, aus der sich der Nikolausbrauch entwickelt hat (Tempera auf Holz, 96x35 cm, etwa 1330 entstanden, heute in den Uffizien in Florenz). Man sieht auf der linken Seite, wie sich Nikolaus heimlich anschleicht, um seinen in Tuch gewickelten Golklumpen durch ein offenes Fenster in das Haus des Nachbarn zu werfen. Es ist - wie in der Legenda aurea - eine rekonstruierende Bilderzählung, denn zur Zeit seiner Wohltat war Nicolaus weder Bischof noch Heiliger. Aber der Heiligenschein macht ihn auf dem Bild sofort kenntlich.
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Im Haus sehen wir dann die Situation wenige Stunden später: Der Nachbar hat das Gold gefunden und gibt es der ältesten Tochter weiter, um damit ihre Hochzeit auszurichten. In manchen Ländern der Erde führt die Ausrichtung der Hochzeit bis heute noch zur sozialen Verelendung, weil sie aufwendig ist und man Ansehen verliert, wenn man sie nicht richtig ausrichtet. Von der Geschichte der drei Mädchen, das heißt vom sozialen Anlass, ist im Brauchtum dann wenig übrig geblieben. Aber zumindest die in Stoff gewickelte Gabe des Heiligen Nikolaus hat sich bis heute erhalten.
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