Lukas Cranach d.Ä., Das Paradies, 1530


Lukas Cranach d.Ä., Das Paradies, 1530, Wien


Lukas Cranach hat im Laufe seiner Tätigkeit zahlreiche Bilder zur Paradieserzäh­lung geschaffen, vor allem Studien von Adam und Eva. Der Sündenfall war neben Darstellungen der Venus und der Lukretia Cranachs bevorzugtes Thema für Aktstudien. Damit reiht sich Cranach in die Tradition der Entdeckung des Körpers im 15. und 16. Jahrhunderts ein.

Zweimal hat Cranach das Geschehen im Paradies narrativ gestaltet, d.h. er hat die gesamte Erzählung von der Erschaffung Adams über den Sündenfall bis zur Vertreibung ins Bild gesetzt. Das eine Gemälde befindet sich in der Dresdener Gemäldegalerie, das andere im Kunsthistorischen Museum in Wien.


Beim hier vorgestellten Gemälde aus Wien blickt der Betrachter auf eine ausgedehnte Gartenlandschaft, die sich weit bis zum Horizont erstreckt. Sie ist gefüllt mit Pflanzen und Bäumen, deren Fülle von rechts nach links abnimmt und am linken oberen Bildrand in einer zerklüfteten Felsenlandschaft endet. Vor der Felslandschaft liegt ein Teich, auf dem Schwäne schwimmen und an dessen Ufer Reiher und Störche leben. Den ganzen Garten durchstreifen Tiere, deren symbolische Bedeutung häufig aus dem Physiologus vertraut ist, jenem Werk aus der zweiten Hälfte des 2. Jh., das die Natur in christlicher Perspektive deutet und die mittelalterliche Malerei tief beeinflußte. Faktisch dürfte aber ein Rekurs auf einen fürstlichen Tierpark, etwa Friedrich des Weisen vorliegen.


Wir sehen auf dem Gemälde, vorzugsweise paarweise auftretend: Hirsch, Reh, Fasan, Rebhuhn, Pfau, Storch, Schwan, Reiher, Kranich, Bär, Pferd, Einhorn etc. Man muß diese Tiere nicht unbedingt symbolisch deuten, sie können auch einfach Freude an der Abbildung der Vielfalt der Natur sein. Die dargestellte Tierwelt fügt sich harmonisch in die Gesamtkonzeption ein. Freilich läßt sich der Garten nicht verorten, kein Detail der Landschaft weist charakteristische Merkmale auf, diese Gegend könnte "überall und nirgends" liegen.


Im Vordergrund und gegenüber allen anderen Szenen des Bildes durch die Größe herausgehoben steht Gottvater als alter Mann mit Bart und roter Toga und blauer Tunika im Gespräch mit Eva und Adam, welcher vertraulich Eva bei der Hand genommen hat [A].

Die Szene läßt sich keiner Textstelle unmittelbar zuordnen, am ehesten versinnbildlicht sie den vertrauten Umgang der Menschen mit Gott vor dem Sündenfall, vielleicht auch das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Adam und Eva sind in der für die Zeit typischen Aktdarstellung gezeichnet, Adams Geschlecht wird durch die Arme verdeckt, Evas Scham durch die Zweige einer geflückten Frucht.


Die fünf Szenen innerhalb des Bildes, die die Paradieserzählung darstellen, werden in der Anordnung nicht einer linearen Erzähllogik unterworfen, sondern gehorchen allenfalls künstlerischen Gesichtspunkten. Dennoch ist es geradezu ein Film, der vor den Augen der Betrachter abläuft, allerdings gehorcht er einer Logik, die wir eher aus postmodernen Filmen a la "Pulp fiction" von Quentin Tarantino, als von traditioneller Kunst erwarten. Der Betrachter, der das Bild von rechts nach links erschliessen will, muss im Kopf den Film richtig zusammensetzen oder er sieht eine falsche (oder andere) Geschichte. [Auch das wäre interessant, SchülerInnen nach dem obigen Bildstreifen eine eigene Geschichte erzählen zu lassen.] Cranach aber malt eine Art visuelle Echternacher Springprozession:

Am rechten Bildrand, fast schon aus dem Bild herausragend, formt Gott Adam aus der Erde [1]. Adam ist noch sehr klein, wie ein Kind hockt er am Boden. In allen weiteren Szenen ist Adam jedoch bärtig dargestellt. In der übernächsten Szene [2] sieht man, wie Gott Eva aus dem inzwischen erwachsenen und schlafend daliegenden Adam "entnimmt". Zwischen diesen beiden Szenen ereig­net sich der Sündenfall [3]. Von einem ausgewachsenen Apfelbaum reicht eine Schlange, welche mehr Frau als Schlange ist, Adam und Eva die Früchte vom Baum der Erkenntnis. Eva ist als Rückenakt dargestellt, den Apfel hält sie wie eine Boulekugel in der rechten Hand. Adam kratzt sich mit der linken Hand am Kopf, während er mit der rechten den Apfel zum Mund führt. Wiederum in der übernächsten Szene verstecken sich Adam und Eva im Gebüsch und blicken angsterfüllt nach oben, während Gott über ihnen in einer Gewitter­wolke schwebt und auf sie herabblickt [4]. In der letzten Szene jagt ein laufender Engel das immer noch vollständig nackte erste Menschenpaar aus dem Paradies, beide haben die Arme wie zur Abwehr erhoben und rennen panisch aus dem linken Bildrand [5].

Das Bild versammelt in frühmittelalterlicher Manier und in bewußtem Rückgriff auf ältere Traditionen temporär getrennte Ereignisse, die sich aber zu einer zeitlichen Abfolge zusammenfügen lassen, auf einem Bild. Zunächst entsteht der Eindruck, hier geschehe vielerlei gleichzeitig, erst der zweite Blick offenbart die zeitliche Abhängigkeit der Szenen. Jede Episode auf dem Gemälde ist so gemalt, daß sie auch für sich ein eigenständiges Bild abgeben könnte. Es ist die Aufgabe des Betrachters, die Erzählung aus dem einzelnen Puzzleteilen des Bildes zusammenzufügen. Das Gemälde erzählt zunächst von sich aus keine Geschichte, ganz im Gegenteil wird die Logik der Erzählung zugunsten einer eher oszillierenden Betrachtungsweise gebrochen. Gerade dadurch wird der Betrachter provoziert und herausgefordert, eine ihm bereits vorher bekannte Erzählung auf dem Bild zu rekonstruieren.


Liest man aber jenseits des Illustriativen, das weitgehend der biblischen Erzählung folgt, auch die Größen der Darstellungsabschnitte und die Relationen der beteiligten Figuren als Bildaussagen mit, dann zeigt sich in der Differenz von

  • ursprünglich nächster Nähe (linke Abbildung) und
  • späterer größter Distanz (rechte Abbildung)

das ganze Drama das hier im Bild geschildert wird.

Dennoch ist nicht die Entfremdung das für den Betrachter Wichtigste, vielmehr steht die Zusage Gottes - sozusagen wortwörtlich - im Vordergrund.



(c) Bildmodule: Franziska Happel (erstellt mit makromedia flash mx ); Texte: Andreas Mertin