Die Paradieserzählung in der Kunst zwischen Utopie und Ideologie

Wann und wie wir uns auch mittels kunstgeschichtlicher Werke der Paradieserzählung nähern, so befinden wir uns immer schon in der christlichen Auslegungsgeschichte dieser Erzählung. Eine Darstellung des Paradiesgeschehens, die sich allein nach dem Text der Hebräischen Bibel richtete, gibt es nicht. Schon die Darstellung des Schöpfergottes, welcher zudem als trinitarischer Gott vorgestellt wird, passt nicht in die jüdische Auslegungsgeschichte. Auch die Ausstattung der Schlange mit den Gesichtszügen der Eva ist christlich Ursprungs. Darüber hinaus fließen zahlreiche andere zeitgenössische theologische, folkloristische und anthropologische Vorstellungen in die Bildgestaltung ein. Für den Künstler des Mittelalters ist es völlig selbstverständlich, Adam und Eva in zeitgenössischem, etwa höfischem Outfit zu zeigen (Kleidung, Haartracht etc.) und sie auch in einem entsprechenden Ambiente zu platzieren. Darin entspricht ihnen die Werbung von heute, die Adam und Eva ebenfalls in einer merkwürdigen Mixtur von Einst und Jetzt mit Lederboots, Unterwäsche, PKW oder Zigaretten ausstatten kann. Mit der künstlerischen Gestaltung ist zugleich festgelegt, in welcher Funktion die Paradieserzählung verwendet wird, ob als wehmütige Erinnerung ehemals paradiesischer Zustände, ob zur Denunziation des weiblichen Teils der Menschheit, ob zur Darstellung einer zutiefst pessimistischen Sicht der Welt oder als hoffnungsvolle Projektion des neuen Paradieses als einer ausstehenden glücklichen Zukunft. Das primäre ideologische Interesse an der Paradieserzählung war und ist der Sünden-Fall der Eva, wirksam in der Rezeptionsgeschichte bis in die heutige Werbung. Das sich an der Darstellung der Eva ausprägende bzw. in sie hineinprojizierte Frauenbild ist bis in die Gegenwart ein wirkungsmächtiger Mythos geblieben. Es gibt aber auch die Rückerinnerung an das verlorene Paradies im Sinne einer utopischen Qualität, als Ort des Tierfriedens und der versöhnten Natur. Die Darstellung des Paradieses kann der städtischen Kultur entgegengesetzt werden, aber die städtische Kultur selbst kann als himmlisches Jerusalem Ausdruck von Paradiesvorstellungen sein.

HS Lichtenthal, Baum der Erkenntnis, 1235
Paul von Limburg, Der Garten Eden, Anfang 15. Jh.
Bertolt Furtmayr, Baum des Todes und der Erkenntnis, 1481
Lukas Cranach, Das Paradies, 1530

Natur

Die frühesten Darstellungen des Paradieses zeigen ein Idyll. Blumen, Bäume, Girlanden, Vögel und exotische Tiere zieren einen Garten, der nicht selten auch den Guten Hirten beherbergt. Besonders prachtvolle Darstellungen dieser Art sind die Mosaiken von Ravenna. Eine Paradiesdarstellung finden wir z.B. im Apsismosaik von San Apollinare in Classe, wo der heilige Apollinaris mit den zwölf Apostel, dargestellt als Lämmer, im Paradies weilt. Aber dieses Mosaik stellt nicht das Paradies der Urgeschichte, sondern das wiederhergestellte Paradies der Endzeit dar, weshalb wir auch keine Anspielung auf Adam und Eva finden. Das Paradies ist hier als Kompensat irdischen Leidens gedacht, die "verklärte materielle Welt" wird zum Ausgleich für das irdische Martyrium. Das entspricht der Schilderung des Kirchenvaters Irenäus (140-299).

"Auf der Grundlage zahlreicher Zitate aus dem Alten Testament und aus apokryphen Schriften entwarf er ein Bild der erhofften neuen Welt. Wieder zum Leben erweckt, findet sich der Mensch in einer idealen Umgebung vor. Die volle Zeugungsfähigkeit des männlichen Körpers wird wiederhergestellt sein, und die Frauen werden zahlreichen Kindern das Leben schenken. Die Natur wird Wein und Getreide in Fülle schenken, so dass niemand mehr die Kräfte seines Körpers durch harte Arbeit erschöpfen muß ... Auch gibt es in der neuen Welt keine Feinde mehr. Sogar die wilden Tiere können nicht mehr als solche gelten, weil sie der menschlichen Herrschaft unterstehen" (Bernhard Lang u. Colleen McDannell, Der Himmel. Eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens, Frankfurt 1988, S. 81.)


Die Paradiesschilderung des Mittelalters entspringt der Erfahrung des entbehrungsreichen ora et labora der Mönche auf einsam gelegenen Klostergütern. "Die Bestellung des Feldes, der Anbau und die Ernte von Getreide, das Warten auf ausreichenden Regen sowie die ständige Furcht vor Missernte ließ sie die ganze Härte bäuerlicher Existenz erfahren ... Ihre Abhängigkeit von Landwirtschaft und Wetter machte die Mönche besonders anfällig für die biblische Paradiesgeschichte. Die Gebildeten lasen sie in der lateinischen Bibel, aber jeder hörte davon in der Predigt".

Darin erfuhren sie, dass ihr mühseliges bäuerliches Leben Folge der Gesetzesübertretung des ersten Paares sei. "Eines Tages freilich wird Gott die Vertreibung rückgängig machen und den ursprünglichen, paradiesischen Zustand wiederherstellen. Am Ende der Zeiten, wenn Ordensleute und alle gerechten Menschen aus ihren irdischen Plagen entlassen werden, erschafft er eine neue Erde" (Lang/McDannel, S. 105f.).

Und diese wurde nun als Negation der bestehenden Verhältnisse begriffen: "Die Sündenstrafe, das heißt: Kälte, Hitze, Hagel, Sturm, Blitz, Donner und andere Unannehmlichkeiten werden völlig verschwinden". Die ganze Erde wird zum Paradies und mit duftenden niemals welkenden Blumen - Lilien, Rosen und Veilchen - geschmückt sein (Lang/McDannel, S. 106). Die klösterliche Welt der Arbeit wird durch einen Lustgarten abgelöst.

Im Paradies werden auch wieder paradiesische Zustände herrschen: Die Menschen werden, wie ein mittelalterliches Klosterbuch schreibt, nackt sein, aber sich durch Anstand auszeichnen und niemals wegen irgendeines Körperteils mehr erröten, als sie es jetzt wegen schöner Augen tun. Nicht nur die Mönche, auch die Angehörigen mittelalterlicher Häresien schildern das Paradies als Ort aufgehobener Entbehrungen. Ein der Inquisition unterworfener Katharer beschreibt ‚schöne Haine mit singenden Vögeln', die 'weder Durst noch Hunger, Kälte oder Hitze', sondern nur 'gemäßigte Temperaturen' kennen. Dementsprechend gehört die Schilderung des paradiesischen Lebens zum Standardrepertoire mönchischer Volkspredigt (Lang/McDannel, S. 108).

Das Gegenbild zu diesem Paradies ist das städtische, gepflegt vor allem von den Bettelorden. Sie bevorzugen die Stadt als Bild des Himmels, welches der Kultur den Vorrang vor der Natur einräumt. Daher wechseln sie von den ersten Seiten der Bibel auf die letzten und beschreiben das neue Paradies als himmlisches Jerusalem.

In der Renaissance konnte diese Gegenüberstellung in einem Bild zusammengefasst werden. Auf einem Fresko in der Kirche Santa Maria in Piano in Loreto Aprutino aus dem Jahre 1420 zeichnet der Künstler das Jüngste Gericht: "Wenn die Toten eine schmale Brücke überschritten haben, befinden sie sich noch nicht im Paradies. Nackt werden sie vor einen Engel geführt, der ... eine Waage hält. Er wiegt die Ankommenden und weist ihnen ja nach ihrem Verdienst ihren Rang zu. Zweierlei Lohn hat er zu vergeben: den Einlass ins Paradies und den Zugang zum neuen Jerusalem. Im Paradiesgarten klettern neun nackte Heilige auf hohe Palmen mit Palmzweigen winken sie zum neuen Jerusalem hinüber ... Eine Disharmonie zwischen den beiden Bereichen - Paradies und Schloss - ist durch nichts angedeutet" (Lang/McDannel, S. 162).

Der Mönch Savonarola zeichnet in seinem Kompendium der Offenbarungen (1495) ein Bild dieses Paradieses: Er "beschreibt die unterste Ebene als ein sehr weites Feld, mit wunderbaren Paradiesblumen übersät. Kristallklare Bäche durchflossen es überall mit ruhigem Murmeln. Zahlreiche zahme Tiere - Schafe, Hermeline, Hasen, alle weißer als Schnee - spielten auf der blumenreichen Wiese. Es gab auch vielerlei Laubbäume, die Blüten und Früchte trugen, erzählt der Dominikaner, im Geäst flatterten bunte Vögel umher und sangen eine süße Melodie" (Lang/McDannel, S. 163). Über dem Paradies liegt die Himmelsstadt, die Residenz Gottes, Marias und der Engel.

Eine Umsetzung dieser Gedanken finden wir in einem Stich aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, der ein Gemälde von Hieronymus Bosch wiedergibt. "Die untere Hälfte der Radierung wird von einer parkartigen Landschaft am Strand eines Meeres eingenommen. Durch eine schmale Wolkendecke getrennt, liegt darüber eine gotische Himmelsarchitektur ... Die Trennung von Paradies (Ort der Seligen) und Himmel (der Wohnort der Trinität) entspricht der Unterscheidung von Natur und Kultur. Das Paradies ist jedoch nicht ausschließlich als Garten Eden oder Hirtenlandschaft gezeichnet. Da die erlöste Natur nicht mehr dieselbe sein kann wie vor dem Sündenfall, muß sie die ursprüngliche Schöpfung übertreffen. Dementsprechend finden Elemente der Kultur Eingang ins Paradies: ein Boot ein kunstvoll gestalteter Brunnen und Zelte. Aber ... die Natur wird von der Kultur nicht verdrängt" (Lang/McDannel, S. 164).

Wie aus diesen Schilderungen und den ihnen entsprechenden Kunstwerken deutlich wird, ist die Paradiesgeschichte der Hebräischen Bibel in der abendländischen Kunstgeschichte nicht ohne Bezug auf die eschatologische Hoffnung der Christen zu verstehen. Jedes Paradiesbild transportiert zugleich die Hoffnung der Menschen, dass ihr armseliges irdisches Dasein einmal von einem besseren abgelöst werden möge, dass die heute noch als feindlich erscheinende und nur in einem Gewaltakt zu unterwerfende Natur einmal als versöhnte, befriedete und harmonische erscheinen möge und dass die kulturellen Errungenschaften der Menschheit nicht nur wie auf der Erde wenigen Privilegierten vorbehalten, sondern am Ende der Zeiten zum Allgemeingut aller Frommen und Gerechten werde.


Keine Regel ohne Ausnahme, keine Bildtheologie ohne ihre Häresie. Die Regel ist die Schilderung des Paradieses als ungetrübter Naturfrieden, d.h. als perfektes Kunstwerk Gottes. Das aber ist kein zwingendes Motiv in der kunstgeschichtlichen Tradition. Abweichend von den theologischen Lehrmeinungen wird in den künstlerischen Darstellungen des Gartens Eden durchaus getötet und gejagt.

Ein Beispiel dafür ist der Hochaltar für St. Petri in Hamburg von Meister Bertram. Auf dem Teil, der die Erschaffung der Tiere zeigt, sieht man auf der linken Seite ein Schaf, in dessen Brust sich ein Wolf verbissen hat, wobei aus der Wunde heftig das Blut spritzt. Von Jesajas Tierfrieden ("Da werden die Wölfe bei den Lämmern liegen" - "Wolf und Schaf sollen beieinander weiden") kann keine Rede sein. Eher schon ist das Geschehen als Hinweis auf Mt 10, 16 zu interpretieren: "Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe".

Und auch bei Hieronymus Bosch findet sich der bildliche Hinweis auf eine unvollkommen geschaffene Schöpfung. Im Garten Eden auf dem Triptychon mit dem zugeschriebenen Titel Das tausendjährige Reich lässt die Katze selbst im Paradies das Mausen nicht. Auf der linken Seite des Tafelteils, das das Paradies darstellt, trägt eine Katze unter den Augen von Gott, Adam und Eva, ihre Beute zwischen den Zähnen davon. Auch andere Tiere frönen ihrer Raublust im Garten Eden bereits vor dem Sündenfall. Dieses Paradies ist keinesfalls perfekt, es bedarf nicht Evas Griff zum Apfel, um das Böse auf den Plan treten zu lassen, schon vorher harrt die gesamte Schöpfung der Erlösung (Röm 8).


Schuld

Wie zeigt man Schuld auf einen Bild? Nicht die Scham des Täters über seine Tat, nicht seine Reue, sondern den Umstand, dass jemand im Moment schuldig wird?

Das Thema der Schuld ist ein wichtiger Teil der Rezeptionsgeschichte des Sündenfalls. Theologisch und philosophisch betrachtet ist die Frage der Schuld erst möglich als Folge des Sündenfalls, denn Schuldig-werden wie Schuldig-sprechen setzt die Unterscheidungsfähigkeit von Gut und Böse voraus.

Die erste Sünde nach dem Sündenfall wäre daher das fortgesetzte "Ich nicht, aber die da": "Ich nicht, aber die da" sagt zuerst Adam über Eva zu seiner Verteidigung zu Gott, dann Eva über die Schlange. Das Hauptinteresse an der Schuldfrage konzentriert sich dennoch auf den Moment, in dem Eva zur Frucht greift. Ihre Körperhaltung - zum Baum, zur Schlange, zu Adam - gibt Auskunft über den Grad ihrer Schuld: Opfer, Verführte, verführte Verführerin, Komplizin, Täterin.

Versuchen wir für einen Augenblick, die Erzählung vom Geschehen im Paradies aus unserem Bewusstsein zu streichen und die Kunstwerke sozusagen unbefangen zu betrachten. Was sähe ein nicht mit der jüdisch-christlichen Tradition in Berührung gekommener Mensch auf den Bildern vom Sündenfall? Wie würde er die Szene der beiden Nackten unter dem mit einer Schlange dekorierten Baum deuten? Vielleicht als ein Märchenmotiv: zwei verlassene Menschenkinder im Gespräch mit einer hilfreichen Schlange? Als eine Tierfabel im Stil Äsops?

Der europäische Betrachter weiß dagegen, dass es um Schuld geht. Ihm klingt Tertullians Schuldzuweisung an die Frauen im Ohr: Weißt du nicht, dass du eine Eva bist? Du bist es, die dem Teufel Eingang verschafft hat, du hast das Siegel jenes Baumes gebrochen, du hast zuerst das göttliche Gesetz im Stich gelassen, du bist es auch, die ihn überredete, dem der Teufel nicht zu nahen vermochte, so leicht hast du den Mann, das Ebenbild Gottes, zu Boden geworfen. Wegen deiner Schuld, das heißt um des Todes willen, musste auch der Sohn Gottes sterben.

Konstruiert wird die Schuld in einem subtilen Wechselspiel mit diesem Vorwissen des Betrachters. Kleine Andeutungen verstärken dieses Vorwissen: parallele Haltungen, gemeinsame Blickrichtungen, Tändeleien und Annäherungen zwischen Eva und der Schlange bis zum gemeinsamen Zungenspiel (Pantheon-Bibel) auf der einen Seite und auf der anderen Seite ein abgewendeter, distanzierter, eher von der Dynamik des Geschehens ausgeschlossener oder doch erst sekundär beteiligter Adam.

Ein gutes Beispiel für die sublime Schuldzuweisung ist HS Lichtenthals "Baum der Erkenntnis" aus der Zeit nach 1235. Zu sehen sind in symmetrischer Konstruktion Adam, Eva und der Baum der Erkenntnis mit der Schlange. Auf der rechten Seite steht Eva. Sie ist sich ihrer Blöße schon bewusst und hält sie mit einem Pflanzenblatt bedeckt. Ihren rechten Arm streckt sie Adam entgegen. In der Mitte ringelt sich die Schlange um den ertragreichen Baum der Erkenntnis. Zwischen den Zähnen trägt sie einen Apfel, den sie Adam anbietet. Schlangenkopf und Armhaltung der Eva sind exakt parallel. Auf der linken Seite führt Adam einen roten Apfel zum Mund, während er mit der anderen Hand zum Apfel der Schlange greift. Adam hat aber noch nicht von der Frucht gegessen, seine Nacktheit ist ihm noch nicht bewusst. Das Bild konstruiert eine zeitliche Abfolge. Träger der Handlung ist die Schlange, welche sowohl Eva wie Adam mit der Frucht versorgt. Aber Eva wird - angedeutet durch die Parallele ihres Armes mit dem Schlangenkopf - zur aktiven Komplizin. Sie arbeitet sozusagen 'Hand in Hand' mit der Schlange und trägt daher auch mit dieser die gemeinsame Schuld. Adam ist es, wie am Drachen unter seinen Füßen erkennbar wird, der als neuer Adam in Gestalt Christi die Sünde überwinden und die Schuld aufheben wird.


Nacktheit

Theologie und Leibfeindlichkeit bilden keinen zwingenden Zusammenhang. Es gab und gibt innerhalb der komplexen Institution Kirche und noch deutlicher im Gesamtzusammenhang "Christentum" sowohl puritanische wie sinnenbetonte Richtungen, wobei nicht gesagt ist, dass die puritanischen nicht ebenso sinnlich wie die anderen Richtungen sind. Es ist die Bewertung der Praxis (nicht unbedingt die Praxis selbst), die sie unterscheiden.

Am Beispiel der Arbeiten Lukas Cranachs wird einsichtig, dass die Darstellung menschlicher Nacktheit auch im unmittelbaren Umkreis der Reformatoren keinerlei Einschränkungen unterlag, solange die Nacktheit christlich oder aber allgemein moralisch begründbar war. Damit entsprach die Nacktdarstellung dem Geist der Zeit, der Kunst in funktionalen Zusammenhängen dachte. Interessant ist im Kontext der Darstellung von Adam und Eva in der abendländischen Kunstgeschichte der Übergang von der Nackt- zur Akt-Darstellung.

John Berger hat in seinem Essay "Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt" (Hamburg 1974, S. 43ff.) die wesentlichen Schritte dieser Entwicklung zusammengefasst. Ausgehend von der Sündenfall-Erzählung (Da wurden beider Augen aufgetan, und sie erkannten, dass sie nackt waren) hebt Berger hervor, dass Nacktheit "im Geist des Betrachters geboren" wird: "Sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, weil jeder - durch das Essen des Apfels - den anderen als anders erkannte" (Berger, S. 45).

War ursprünglich das nackte Menschenpaar in eine erzählende Bildfolge eingebunden, so wird seid der Renaissance vor allem der Augenblick der Scham dargestellt: "Die beiden tragen Feigenblätter oder machen eine sittsame Geste mit ihren Händen. Aber jetzt bezieht sich ihre Scham nicht mehr so sehr aufeinander als vielmehr auf den Betrachter. Später wird die Darstellung der Scham zu einer Art Schaustellung ... Aber immer blieb die Auffassung so, dass die dargestellte Person (eine Frau) weiß, sie wird von einem Betrachter gesehen. Sie ist nicht nackt, wie sie ist. Sie ist nackt, weil der Betrachter sie sieht" (Berger, S. 46f.)

In der weltlichen Tradition wurde das Thema dann weiterentwickelt: "Man malte eine nackte Frau, weil man es genoss, sie anzuschauen man ,gab ihr einen Spiegel in die Hand und nannte das Bild Eitelkeit. So verdammte man moralisch die Frau, deren Nacktheit man zum eigenen Vergnügen dargestellt hatte" (Berger, S. 48).

Die Mehrzahl der Kunstwerke mit nackten Menschen seit der Renaissance sind Aktdarstellungen: "Als Akt wird man von anderen nackt gesehen und doch nicht als man selbst erkannt. Ein nackter Körper muß als Objekt gesehen werden, um zu einem Akt zu werden. (Betrachtet man ihn als Objekt, fördert man damit seinen Gebrauch als Objekt.) Nacktheit enthüllt sich selbst ein Akt wird zur Schau gestellt. Nacktsein bedeutet, man selbst zu sein. Ausgestelltsein bedeutet, die Oberfläche der eigenen Haut, die Haare des eigenen Körpers zu einer Art Verkleidung werden zu lassen, die - in dieser Situation - nicht mehr abgelegt werden kann. Der Akt ist dazu verdammt, niemals nackt zu sein der Akt ist eine Form der Bekleidung" (Berger, S. 51). "Dürer war der Meinung, dass der Idealakt konstruiert werden könne, wenn man den Kopf von einem Körper nimmt, die Brüste von einem anderen, die Beine von einem dritten, die Schultern von einem vierten, die Hände von einem fünften - und so weiter. Das Ergebnis würde den Menschen verherrlichen. Aber die Übung setzt eine bemerkenswerte Gleichgültigkeit dem gegenüber voraus, was ein menschliches Wesen wirklich ist" (Berger, S. 59).

Die Konstruktion des weiblichen Schönheitsideals als Objekt männlicher Begierde in der europäischen Aktmalerei hat Folgen für die Wahrnehmung und das Auftreten von Frauen bis in die Gegenwart. Zwar hat in der Kunst die Tradition der Aktdarstellung ein Ende gefunden, in Werbung, Fernsehen und Kinofilm lebt sie jedoch unvermindert fort.


Überlegungen zur Vermittlung

Wie lassen sich Kunstwerke in der Auseinandersetzung mit der Paradieserzählung einsetzen? Zunächst macht uns die Beschäftigung mit älteren Kunstwerken klar, das sich unser Blick von dem vergangener Jahrhunderte radikal unterscheidet. Unsere Optik ist sozusagen genuin historisch-kritisch, wir agieren wie Archäologen bei der Arbeit an einer Ausgrabungsstätte: Stück für Stück legen wir Textschichten frei bis wir auf die älteste Schicht gestoßen sind, blicken in die altorientalische Umwelt nach irgendwelchen Vorbildern, überlegen, was die ältesten Autoren wohl mit diesem Text bezweckt haben und schälen dann so etwas wie den theologischen Glutkern der Erzählung heraus, welcher schließlich mühsam an die heutigen Adressaten vermittelt werden muß.

Ganz anders der mittelalterliche Leser dieser Erzählung. Für ihn ist die Geschichte unmittelbare Gegenwart, insofern sie auf ihn als Sünder zielt. Für ihn ist die Paradieserzählung kein historischer Stoff, sondern Teil eines Dramas, das noch keinen Abschluss gefunden hat und dem er sich als ein Rad im Getriebe verbunden weiß. Die Fokussierung, die er vornimmt, die Lesart des Text, die er pflegt, vermittelt sich allemal über das Heilsgeschehen in Christus, es ist nicht möglich, davon abzusehen. Eine Erkenntnis, die uns die Bilder vermitteln können, ist daher die Andersartigkeit des Ursprungstextes in der Perspektive anderer Zeiten. Im Vergleich mit den neueren Werken der Kunst zeigt sich ein Prozeß der Subjektivierung der Kunst, nicht nur was die künstlerische Konzeption betrifft, sondern auch in Bezug auf die Inhalte. Nicht mehr ein Ausschnitt im Drama der Heilsgeschichte, sondern auf das Drama zwischen Mann und Frau, auf die Selbstfindung der Frau, auf das lustvoll zu entdeckende Gestern im Heute kommt es den Künstlern an.